Dietlind Falk im Interview 27. Januar 2017 – Posted in: Aktuelles – Tags: , , , ,

„Dietlind Falk hat geschafft, was wenigen gelingt: humorvoll und mit sensiblem Sprachgefühl über ein Thema zu schreiben, das gleichermaßen Ernsthaftigkeit und Witz verlangt“, urteilt SPIEGEL-Bestsellerautor Kristof Magnusson. „Das Letzte ist ein einfühlsamer Roman über sympathische Außenseiter, die Monster im eigenen Kopf und die (Un-)Möglichkeit von Liebe.“

 

Wir sprachen mit der Autorin in ihrem ersten Interview über ihr Debüt:

 

Der Titel deines Romans ist kurz und prägnant, aber auch mehrdeutig. Wie kam er zustande und wer oder was ist eigentlich „das Letzte“?

In dem Buch geht es in erster Linie um eine Tochter, die durch gewisse Umstände die Messiewohnung ihrer Mutter ausräumen muss. Fast alles, was in einschlägigen TV-Formaten über dieses Thema gesendet wird, zielt darauf ab, dass sich die „normalen“ Zuschauer darüber aufregen können – oder sollen –, wie ekelhaft faul und verlottert „diese Leute“ sind. Gerade in einem Land wie Deutschland, in dem Ordnung und Sauberkeit quasi mit der Muttermilch eingesogen werden sollen, sind Messies im öffentlichen Tenor einfach „das Letzte“. Dass das Ganze mit Faulheit nichts zu tun hat, ist völlig egal: Das Messiesyndrom ist in unserer überaus rigiden Gesellschaft eine ideale Projektionsfläche, um abweichendes Verhalten zu skandalisieren und mit dem Finger auf Menschen zu zeigen, die eben anders ticken als erwünscht. Das gilt auch für die anderen Figuren des Romans, junge Leute, denen Ordnung völlig egal ist und die ganz gut damit fahren. Der Titel ist insofern auch ganz gegensätzlich lesbar: Wenn einem die Gesellschaft sagt, man sei das Letzte, hat man vielleicht alles richtig gemacht.

 

dietlind falk - das letzte, roman

Das Letzte erscheint am 1. März 2017 bei Albino

Was hat dich bewogen, dich mit diesem Thema auseinanderzusetzen? Und wie hast du dich darüber informiert?

Die unspannende Antwort ist: Ich weiß es nicht mehr. Die Mutter war jahrelang nur eine Nebenfigur, bis ich merkte, dass sie das eigentlich interessante Element der Geschichte ist und es mir verhältnismäßig leicht fällt, mir ihre Welt vorzustellen und darüber zu schreiben. Je mehr ich dann recherchiert habe, desto mehr hat mich das Thema gepackt: diese absolute emotionale Bindung, die Messies zu Gegenständen aufbauen, während ihr Sozialleben verkümmert. Diese Wohnungen, die zu Psychogrammen ihrer Bewohner werden. Und eben die totale gesellschaftliche Ausgrenzung. Viel Fachliteratur gibt es zum Thema Messies nicht, ich habe dann hauptsächlich in Internet-Foren gelesen und überall gemerkt, wie viele Leute dieses Thema unmittelbar betrifft. Es gibt auch ein paar wirklich empfehlenswerte Dokumentationen: Geliebter Müll – Vom Mann, der nichts wegwerfen konnte von Raymond Ley beispielsweise, oder Messies – Ein schönes Chaos von Ulrich Grossenbacher.


„Man kann auch keinen Lächel-Crashkurs machen.


Natürlich habe ich mir diverse „Messiesendungen“ angesehen, und ich fand die Messies immer ziemlich sympathisch, während die Außenwelt in Form von Tine Wittler oder wie sie alle heißen einfach nur scheußlich war. Natürlich hilft es einem Messie nicht, erzwungenermaßen aufzuräumen, und natürlich sieht es nach sechs Wochen wieder chaotisch aus. Das ist das perfide an diesen Sendungen, das ist dann nämlich der vorprogrammierte Aufreger am Schluss: Dieser undankbare Messie hat alles wieder verkommen lassen, also so was! Mit jemandem, der depressiv ist, kann man auch keinen Lächel-Crashkurs machen, und danach ist er ein fröhlicher Mensch. Die deutschen TV-Formate sind in dieser Hinsicht übrigens deutlich extremer als vergleichbare ausländische Sendungen, in denen den Messies eher positives Interesse und Verständnis entgegengebracht werden. Das fand ich bezeichnend.

 

Weder die Erzählerin noch der Ort, wo der Roman spielt, bekommen einen Namen. Warum hast du diese Aspekte der Geschichte im Ungewissen gelassen?

Der Ort war für die Handlung des Romans nicht wichtig, also habe ich ihn nicht benannt. Das war eine relativ naheliegende Entscheidung. Was die Erzählerin angeht, hat sich diese Unkonkretheit daraus ergeben, dass sie eine sehr ungreifbare, dissoziative Figur ist, eben mehr Stimme als Körper. Ihr einen Namen zu geben wäre irgendwann wie eine sprachliche Fliegenklatsche gewesen.


„Es ist eine fiktive Geschichte. Das wäre sonst auch eine traurige und unspannende Existenz als Autorin.“


dietlind falk im portrait

Dietlind Falk (Foto von Jerónimo Arteaga-Silva)

Eine junge Autorin erzählt die Geschichte einer jungen, namenlosen Protagonistin – da stellt sich nach dem Lesen fast zwangsläufig die Frage: Gibt es in deinem Roman autobiografische Einflüsse?

Nein, es ist ein Roman. Meine Mutter ist der ordentlichste Mensch, den ich kenne, und mein Vater hat mir ausführlich die Sternbilder erklärt. Natürlich hört man als Autorin seinem Umfeld auf den Mund und fragt dann, ob man den Spruch oder die Geschichte für seinen Roman verwenden darf, und natürlich gibt es Überschneidungen mit der Gefühlswelt und Lebensführung der Protagonistin und meiner eigenen. Ich habe auch schon liebeskrank im Supermarkt gestanden und nie wieder essen wollen, und meine Schuhe sind auch mehr Kruste als Schuh, aber im Großen und Ganzen ist es eine fiktive Geschichte. Das wäre sonst auch eine traurige und unspannende Existenz als Autorin, wenn man nur über sich selber schreiben könnte. Als wäre man ein Architekt, der immer nur das Haus baut, in dem er sowieso schon wohnt.

 

Zu guter Letzt: Welche Autor_innen beeinflussen dich beim Schreiben oder inspirieren dich? Wen schätzt du besonders, z.B. als Vorbild?

Beim Schreiben hofft man natürlich, sein eigenes Ding zu machen, aus sich selbst zu schöpfen, auch wenn das wahrscheinlich Quatsch ist. Aber ich denke (zum Glück) nicht so sehr über das Schreiben nach, wenn ich lese. Ich mag Romane über Außenseiter, Loser und Sonderlinge, Romane, in denen erhobenen Hauptes gescheitert wird. Meine Lieblingsromane sind z.B. Warum das Kind in der Polenta kocht von Aglaja Veteranyi, The First Bad Man von Miranda July, Nada von Carmen Laforet oder Die Beschissenheit der Dinge von Dimitri Verhulst. Mir geht es beim Lesen nicht unbedingt darum, in eine neue Welt entführt zu werden oder irgendein Thema in Romanform verabreicht zu bekommen – beim Lesen bin ich auf der Suche nach menschlichen Empfindungen, nach dem, was und wie die Figuren erleben, und je schonungsloser und schräger erzählt wird, desto besser. Wenn die Erzähler_innen dann noch die Sprache zu ihrem Zweck verbiegen und verdichten, wie beispielsweise Herta Müller oder Terezia Mora, oder Sylvia Plath, dann kommen meine Lieblingsbücher dabei raus. Herta Müller ist definitiv eine Autorin, die ich nicht nur für ihre wahnsinnigen Romane bewundere, sondern auch für ihren politischen Lebensweg. Ein anderes Vorbild ist Irmgard Keun, die ihr eingesendetes Manuskript mit dem Vermerk versehen hat, sie „erwünsche Antwort bis übermorgen“. So selbstbewusst wäre ich auch gerne. Muss ich aber noch dran arbeiten.

 

dietlind falk im interview

Lektor und Autorin beim Interview in Düsseldorf.

Vielen Dank für das Interview!