Julian Mars im Interview: „Ich will Menschen berühren“ 15. März 2022 – Posted in: Aktuelles – Tags: , , ,

Mit seinem Debütroman „Jetzt sind wir jung“ brachte Julian Mars 2015 einen neuen Ton in die junge queere Literatur und schuf mit dem grüblerischen Antihelden Felix eine gleichsam provokante wie liebenswerte Erzählerfigur. „Authentisch, witzig und klischeefrei“ urteilte unter anderem Der Tagesspiegel über Mars‘ Stil. Nach der Fortsetzung „Lass uns von hier verschwinden“ (2018) kommt nun mit „Was wir schon immer sein wollten“ der Abschluss der Felix-Trilogie. Wir sprachen mit Julian Mars über alte Bekannte, große Befreiungsschläge und neue Perspektiven

Julian, „Was wir schon immer sein wollten“ ist der dritte Teil deiner Felix-Romanreihe – und, wie es heißt, der letzte. Ist danach wirklich Schluss?
Nach „Lass uns von hier verschwinden“ kamen relativ bald Fragen, ob es einen weiteren Teil geben würde, und ich konnte mir das von Anfang an gut vorstellen. Aber jetzt, nach dem dritten Teil habe ich tatsächlich das Gefühl, dass die Erzählung eine runde Sache ist, und alle Charaktere gut versorgt sind. Ich bin auch mit dem Ende sehr zufrieden. Das war bei „Jetzt sind wir jung“ noch nicht so. Bei „Lass uns von hier verschwinden“ schon, aber da hab ich von einigen Leuten gehört, dass das Ende als zu offen empfunden wurde. Über das Finale des dritten Teils sind meine Testleser*innen und ich uns ziemlich einig, was mich sehr freut. Ich hoffe, dass es auch bei der restlichen Leserschaft gut ankommt. Aber um die Frage zu beantworten: Ja, ich sehe ich die Geschichte über Felix und seine Freunde mit dem dritten Band als abgeschlossen an.

Zwischen dem Erscheinen von Teil 1 und 2 lagen drei Jahre, zwischen Teil 2 und 3 dreieinhalb. Ist es als Autor schwierig, sich nach längerer Pause wieder in die Welt der Figuren hineinzuversetzen?
Eigentlich war ich nie wirklich weg von den Figuren. Im Jahr nach Erscheinen der Bücher blieb die Bindung an Felix‘ Welt durch Lesungen, Interviews und den Austausch mit Leser*innen recht eng, und danach hab ich schon angefangen, mir Gedanken darüber zu machen, wie’s weitergehen könnte. Anfangs passiert das ganz entspannt, wenn ich in ruhigen Minuten die Gedanken schweifen lasse, und ohne konkrete Zielsetzung überlege, was die Figuren jetzt gerade treiben könnten, und wie es ihnen geht. Beim tatsächlichen Schreiben muss ich mich allerdings tatsächlich wieder reinarbeiten und die Vorgänger-Bücher noch mal lesen. Ich hab im ersten Band versucht, jeder Figur einen eigenen Sprachduktus zu geben. Diesem Ton treu zu bleiben und gleichzeitig der Entwicklung der Figuren anzupassen, ist die eigentliche Herausforderung. Aber das macht auch Spaß und verselbstständigt sich nach einer Weile. Das mag jetzt ein bisschen mystisch klingen, aber manchmal war ich selbst erstaunt, wie schnell meine Finger über die Tastatur flogen, und was am Ende auf dem Papier stand.

Du greifst im dritten Teil geschickt Themenstränge und Figuren aus Teil 1 und 2 wieder auf, zum Beispiel die ambivalente Figur des Sebastian aus „Jetzt sind wir jung“. Waren solche Rückgriffe von Anfang an geplant?
Ja, schon. Ich habe beim Schreiben zwar darauf geachtet, dass das Buch auch für sich allein funktioniert, also auch verstanden wird, wenn man die ersten beiden Teile nicht gelesen hat, aber für diejenigen, die die Vorgeschichte kennen, wollte ich solche Rückgriffe auf jeden Fall einbauen. Ich liebe das selber, wenn in Serien Handlungsstränge und Charaktere aus vorangegangenen Teilen oder Staffeln wieder aufgegriffen werden. Das ist einerseits nostalgisch, aber auch ein gutes Mittel, um die Entwicklung der Hauptfiguren zu verdeutlichen. Der Auftritt von Sebastian in „Was wir schon immer sein wollten“ zeigt, dass auch Felix sich gewandelt hat, dass sein Blick auf das, was Sebastian mit ihm gemacht hat, sich verändert hat. In vielerlei Hinsicht ist Felix ein sehr ignoranter Charakter, aber auch an ihm gehen gesellschaftliche Debatten wie zum Beispiel #MeToo nicht spurlos vorbei. Das zeigt dieser Handlungsstrang.

Generell bilden die Felix-Romane gesellschaftliche und queer-politische Entwicklungen der letzten Jahre lebensnah und humorvoll ab. Nicht zuletzt deshalb, weil Felix in der Regel selbst erst mal mit ihnen hadert. War die Figur von Anfang an als Zerrspiegel unserer Zeit angelegt?
Für mich ist Felix in diesem Kontext eine gleichzeitig interessante wie schwierige Figur. Er ist zumindest am Anfang ein sehr verwöhntes, ich-bezogenes Bürschchen aus der Oberschicht, das wenig Gespür für soziale Schieflagen und die Probleme anderer hat. Dass er mit seiner verknappten Sicht bei seinen Freunden aneckt, und sich immer wieder selbst im Weg steht, gehört zum Konzept. Obwohl er selbst schwul ist, mag Felix zunächst zum Beispiel keine Homosexuellen, will mit Homosexuellen nichts zu tun haben, kein typischer Homosexueller sein. Er muss erst seine eigene verinnerlichte Homonegativität überwinden, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Meinen Beobachtungen zufolge geht das vielen jungen Homosexuellen so. Wir wachsen alle mit gewissen Vorurteilen auf. Über eine Figur, die ihre Vorurteile überwindet, lässt sich gut das Tolle, Schöne, Erfüllte und Erstrebenswerte der Offenheit für alternative Lebens- und Beziehungsformen abbilden. Diese Entwicklung zu erzählen, war mir schon wichtig, ja.

Glaubst Du, dass Deine Bücher oder Romane im Allgemeinen zwischen queerer Welt und heterosexueller Mehrheitsgesellschaft vermitteln können?
Beim Schreiben ist das ein zweischneidiges Schwert. Es ist ausdrücklich nicht mein Ziel, Erklär-Bär-Bücher schreiben, also als Roman getarnte Sachbücher, die Heteros die queere Welt erklären, und in denen einem auf jeder Seite der pädagogische Anspruch entgegenspringt. Mein oberstes Ziel ist es, Unterhaltungsromane zu schreiben, die Menschen berühren. Wenn ich es dabei schaffe, ein paar Dinge klarzustellen oder Vorbehalte abzubauen, freut mich das aber natürlich.

Man kann mit den Figuren in „Was wir schon immer sein wollten“ viel lachen, sie aber auch durch sehr anrührende Momente begleiten. Ist es schwer, die Balance zwischen Humor und Emotionalität zu halten?
Wenn Leser*innen sagen, dass sie gerührt waren, empfinde ich das als deutlich größeres Kompliment als, wenn sie sagen, dass sie gelacht haben. Beides freut mich, aber ich denke, Menschen zu rühren ist viel schwieriger als sie zum Lachen zu bringen, weil die Gefahr, ins Kitschige abzurutschen, dabei viel größer ist. Das wäre der gegenteilige Effekt dessen, was ich erreichen will. Aber ich hab in den letzten Jahren natürlich selbst sehr viel Zeit mit den Figuren aus den Felix-Romanen verbracht, also war insbesondere das Schreiben des Endes auch für mich ein emotionaler Prozess.

Und was kommt nach Felix? Bleibst Du der Leserschaft als Autor erhalten?
Ja, ich hab Lust, weitere Bücher zu schreiben. Ich könnte mir nach drei Felix-Bänden auch vorstellen, mal was ganz anderes zu machen, andere Themen oder Genres zu probieren, vielleicht einen Krimi zu schreiben. Ideen hab ich auf jeden Fall genug.